Dienstag, 22. Juni 2010

Hingeschaut (2)

Um nicht gleich bei der zweiten Folge von Hingeschaut ins Trudeln zu geraten, habe ich das letzte Wochenende mal ein bisschen in meinen alten Comics gewühlt und einen kleinen Vorrat an Panelperlen beiseite geschafft.

Das schöne Panel dieser Woche stammt aus dem zweiten Heft der amerikanischen Comicserie Shaolin Cowboy. Da sowohl Serie - nach Ausgabe 7 - als auch Verlag Burlyman Entertainment bereits wieder im Nirwana der US-Comicmarktes verschwunden sind, soll ganz kurz noch erwähnt werden, wer hinter dem Ganzen steckt. Niemand Geringes als die Gebrüder Wachowski (Matrix) haben neben Shaolin Cowboy auch Doc Frankenstein und ihre Matrix Comics über diesen Weg auf den Markt gebracht.

Aber später mehr zu dem Comic. Schauen wir doch mal, was ich Schönes gefunden habe. Auf den Seiten 20-21 von Shaolin Cowboy #2 prangt das von mir ausgewählte Panel: Ein lang gezogenes Panel, das das komplette obere Drittel der Doppelseite einnimmt.

Zu sehen ist auf diesem Panorama-Wimmel-Panel sicherlich erst einmal viel zu viel, sodass sich das Auge erst ganz langsam an den detailreichen Stil von Geof Darrow (Hard Boiled) gewöhnen muss. Also beschreibe ich erst mal ein bisschen.

Das Panel ist aufgeteilt in zwei Drittel wolkenfreien Himmel und ein Drittel wüstenähnlichen Vordergrund, der außer ein paar beigen Gesteinsformationen nicht viel visuelles Interesse auf sich zieht. Der Fokus der Aufmerksamkeit liegt sicherlich in der Mitte des Panels: Ein roter Strahl durchzieht das Panel und verbindet dabei die einzelnen Figuren. Bei genauerer Betrachtung kann man erkennen, dass dieser Strahl sich von links nach rechts durch die Körper der Figuren bewegt und fast zeitgleich die erste Figur auf der linken Seite des Panels trifft und in das Auto auf der rechten Seite einschlägt. Die Kraft des Strahls wird durch das Abheben der Hinterräder verdeutlicht.

Schauen wir uns die Figuren einmal näher an, bevor wir zu den Interpretationen springen: Sie tragen fast alle Handfeuerwaffen, Gewehre oder Pistolen, entsprechende Gürtel und Hüte. Die Körper der Figuren sind angespannt und drei Männer, die im direkten Wirkungsradius des Strahls stehen, werden von ihm zurückgeworfen und lassen ihre Waffen fallen. Die Bewegungen aller Figuren sind wie eingefroren.

Der Effekt der Einfrierung betrifft auch den altmodischen Wagen, dessen Hinterteil vom Strahl in die Luft gehoben wird. Durch den Einschlag werden auch die Tiere auf dem Wegen und ein weiterer Mann hochkatapultiert. Die Katzen und Hunde haben wohl zuvor auf dem Dach gesessen. Mehrere Tiere laufen auch ziellos auf dem Boden herum. Interessant ist hier zu beobachten, dass zwei Hunde im Vordergrund den Betrachter direkt anschauen.

Eine einzige Sprechblase ist im Panel zu sehen. Am rechten äußeren Ende kommentiert einer der Männer die gesamte Szene mit "Whoa Dude!!!". Angesichts des Verlangsamungseffekts erscheint die Aussage des Mannes wie ein Fremdkörper im Panel, da die Aussage einen bestimmten Zeitraum anfüllt, den die Aktion im Bild eigentlich nicht zulässt.

Nähert man sich langsam aber sicher der Interpretation, sieht man, dass die Intensität der Rotfärbung des Strahls nach dem Durchdringen jedes Körpers abnimmt und beim Aufprall auf das Auto fast Rosa aussieht. Es lässt sich daraus folgern, dass der Strahl selbst nicht rot ist, sondern das Blut der Getroffenen eine Spur nach sich zieht.

Eine weitere Observation betrifft das Genre. Obwohl die gesamte Handlung aus der Betrachtung dieses Panels nicht zu rekonstruieren ist, so sprechen doch eine Vielzahl von Aspekten für einen Western: Wir sehen Cowboy-Hüte, Pistolen, Waffengürtel, eine Wüste und ein paar streunende Hunde. Doch auf diesem einzelnen Panel zeigen sich sofort auch die Risse, mit der der Autor seine Geschichte durchzieht. Die Cowboys tragen Turnschuhe und Basecaps, neben den Hunden streunen auch Katzen herum und der Wagen, passt natürlich überhaupt nicht in die Genrekonventionen.

Schauen wir doch mal auf die vorangegangene Seite um unser Bilderrästel aufzulösen. Auf den Seiten 18 und 19 sieht man drei Panels, zwar aus verschiedenen Perspektiven, aber alle im selben Format wie unser Beispiel. Im obersten Panel sieht man wie der Held Shaolin Cowboy seinen Widersacher King Crab einen Schlag verpasst, der diesen in ein lebendiges Geschoss verwandelt. Die Krabbe durchschlägt Felsen und Körper. Erst jetzt wird die Identität unserer Strahls aufgedeckt: Es handelt sich um die Flugbahn der Krabbe und alles was von ihr in Mitleidenschaft gezogen wird. Im letzten Panel auf dieser Doppelseite sehen wir vertraute Gesichter, die dem Einschlag der Krabbe unvorbereitet entgegenstehen. Es sind die gleichen Figuren und der gleiche Wagen wie auf unserem Beispielpanel.

Ebenso interessant wie die Heranführung an dieses Panel ist auch die Ausleitung. Unter dem Panel der Woche sehen wir, wie die Handlung auf einmal entgegengesetzt der Leserichtung ausklingt. Vom Aufschlag der Krabbe in die Luft geschleudert, fliegt der Wagen nun auf den Shaolin Cowboy zu, also von rechts nach links, bremst auf den letzten drei Panels der Seite ab und kommt erste auf der nächsten Seite vor dem Helden zum Stillstand.

Wenn man genau hinschaut, dann sieht man oftmals Dinge, die beim flüchtigen Lesen nicht auffallen. Andererseits fällt bei einem Comic wie Shaolin Cowboy auf, dass eine Lupe, zwar Dinge scharf stellt, aber nur einen begrenzten Radius der Aufmerksamkeit zulässt. Aus diesem Grund sollte man nach meiner kurzen Besprechung auch nicht davon ausgehen, dass der Comic ausschließlich eine blutrünstige Schlacht ist, sondern vielmehr ein Spiel mit der Form, mit den Genres, und mit Gewalt. Shaolin Cowboy ist der Comic, den Quentin Tarantino schreiben würde, wenn er Comics machen würde. Nur hier sind die Dialoge noch besser.

Abblindungen: © Geof Darrow/BurlymanEntertainment

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