Mittwoch, 7. Juli 2010

Wir lassen uns nich gentrifizieren!

Eine sich langsam ausbreitende Seuche vergiftet klammheimlich die schönsten Stadtviertel von Deutschlands Großstädten: die Gentrifizierung. Sie macht sich überall dort breit, wo sich künstlerische, kreative und ausgeflippte Menschen bereits ihre Nische gebaut haben, und zwingt sie protugiesischen Milchkaffee zu trinken. So müssen "Boazn" und kleine Boutiquen weichen, um Platz für neue Starbucks-Filialen oder Designerläden zu schaffen. Das Schanzenviertel in Hamburg ist genauso davon betroffen wie das Glockenbachviertel in München. Es geht dabei nicht um eine kulturelle Wertschätzung, sondern um reine Verkaufszahlen, Umsatz und eine aufgesetzte Bohème.

Obwohl Gentrifizierung ein geographischer Begriff ist, findet die Verlagerung von Werten auch auf anderen Feldern der Kultur statt. Zum Beispiel im Comic. Wenn ich gefragt werde, ob "diese Comics" eigentlich Kunst seien, dann kann ich nur noch lächeln. Natürlich könnte man jetzt stundenlang über den Kunstbegriff diskutieren, aber den Menschen geht es doch eigentlich um diese Frage hier:

Dürfen "diese Comics" im Museum hängen?

Darauf antworte ich immer in derselben Art und Weise: Es ist natürlich eine große Ehre, dass sie dort hängen "dürfen". Selbstverständlich gewinnen Comics damit in der Öffentlichkeit an Wertschätzung, doch zahlen sie auch einen Preis dafür. Die eingeglasten Exponaten lassen sich so schlecht umblättern und die Kunstform verliert ein gutes Stück ihrer Subversität, ihrer (Street-)Credibility. Die Lösung für dieses Problem hatte letzte Woche ein gewitzter Outdoor-Kurator.

In meinem schönen Stadtteil Untergiesing, der sich bereits durch sein Präfix jeder Form von Gentrifizierung erfolgreich entzieht, habe ich letzte Woche etwas entdeckt: Direkt in meiner Strasse beklebte ein Mensch, der unerkannt bleiben möchte, die Wand eines Fabrikgeländes mit Comics. Obwohl auch diese Exponate nicht zum Durchblättern gedacht sind, so fügen sie sich perfekt ins Stadt- und Wandbild ein. Alle Ausstellungstücke wurden feinsäuberlich kopiert und auf die Steinwand appliziert.

Bei den Comics handelt es sich nicht um irgendwelche faden Dilbert-Strips, die sonst nur an den Türen von BWLern hängen, sondern um guten Stoff: Drei Schatten von Cyril Pedrosa und Nicolas Mahlers Version von Zorro, aber auch Klassiker wie Little Nemo in Slumberland von Winsor McCay. Natürlich dürfen an dieser Stelle auch die Undergroundcomixnicht fehlen, vertreten durch Fritz the Cat von Robert Crumb und Underworld von KAZ.

Gewinnen Comics nicht gerade durch diese Art der Darstellung etwas zurück, was sie für einen Platz im Museum einbüßen? Obwohl sie wie Kunst aufgehängt wurden, so verweisen sie doch gleichzeitig auf ihre eingene Vergänglichkeit, auf ihren Charakter als Massenmedium. Hier wird Walter Benjamins Das Kunstwerk im Zeitalter der maschinellen Reproduzierbarkeit ad absurdum geführt. Der öffentlich ausgestellte Comic gewinnt seine Aura zurück.

Auch wenn schon zwei Exponate dem Zahn der Zeit und dem Unmut der Betrachter zum Opfer gefallen sind, so ist dies doch die beste Möglichkeit Comics als demokratisch gewählte Kunstform zu leben. Selbst das abgerissene Werk von Daniel Clowes, das in einem gesprayten Herzen verewigt wurde, konnte zum Teil widerstehen. Der Comic verweist gerade wegen seiner unerbitterten Haftung an der Wand auf seinen festen Platz in unserer Kultur:

Irgendwo zwischen der Hosentasche eines Teenagers und dem MoMA.

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