Nachdem ich letzte Woche mit der Regelmäßigkeit wieder etwas ins Straucheln gekommen bin (dank meiner Doktorarbeit), habe ich diese Woche gleich zwei Comics mitgebracht, zwei japanische Comics, zwei Manga.
Ich muss zugeben, dass ich mich lange Zeit nicht an diese Comics herangetraut habe. Ein fremder Kulturkreis, eine komische Leserichtung und abgedrehte Themen, die mir nicht so zusagen. In allen drei Punkten habe ich mich getäuscht. Bei der Analyse der beiden ausgewählten Comics und ihrer einzelnen Panels werde ich viele Dinge, die ich mir über japanische Comics gedacht, überdenken müssen.
Die Kontrahenten sind zwei nicht gerade unbekannte Protagonisten auf dem japanischen Markt, die beide bei Carlsen Comics erschienen sind:
Von links nach rechts, der Titelverteidiger: Akria von Katushiro Otomo. Das Panel stammt aus der 19teiligen deutschen Erstauflage, die zunächst bei Comic Art und dann im Carlsen Verlag erschienen ist. In Band 15, "Die Kraftprobe", auf Seite 98 finden wir das zweite Panel.
Ungewöhnlich bunt präsentiert sich das Panel. Wir sehen einen Stahlkoloss - ein Flugzeug - in verschiedensten Grautönen mit vielen Schattierungen, der auf einen festen Untergrund aufschlägt. Wie in vielen anderen Manga, ist der Moment der Action, der Aufprall, im Panel förmlich eingefroren. Das Flugzeug nimmt fast den gesamten Raum des Panels ein.
Das Interessante an diesem Panel ist aber nicht unbedingt die Farbgebung, sondern eher das soundword in der rechten oberen Ecke: "Hwhomm". Interessant, weil es sich eben dort befindet. Die Action im Panel verläuft nämlich von links nach rechts, also entgegen der japanischen Leserichtung.
Ein Blick auf das Layout der gesamten Seite verrät, was das Flugzeug bei seinem Aufprall trifft, eine gefesselte Frau, die "Nein" schreit, bevor sie zerdrückt wird. Aber es verrät auch, dass das Manga entgegen der Leserichtung erzählt wird. Für den europäischen Markt wird der Comic von rechts nach links erzählt. In diesen Fällen muss gefragt werden, ob das einzelne Panel gespiegelt wurde. Das Flugzeug würde dann von links nach rechts aufprallen und das "Hwomm" oben links zu finden sein.
Auch das gutter zwischen erstem und zweitem Panel ist interessant. Die erzählte Zeit zwischen den beiden Panels, sprich die geforderte Mitarbeit des Lesers, geht gegen null. Im Stakko-Rhythmus erscheint jedes neue Panel. Bevor ich mein Fazit aber ziehe, schauen wir uns doch erst den Konkurrenten an.
Von rechts nach links, der junge Herausforderer: One Piece von Eiichiro Oda. Auch hier haben wir es mit der deutschen Ausgabe eines Manga zu tun. Auch hier ist der deutsche Herausgeber Carlsen Comics. In Band 53 "Die Veranlagung eines Königs" finden wir leider keine Seitenzahlen, aber dafür eine Einteilung in Kapitel. Nummer 581 trägt den actionverversprechenden Titel "Die Kampfarena".
Das schwarz-weiße Panel nimmt einen ähnlichen Platz ein, wie sein Kontrahent. Obwohl es sich die Seite mit fünf anderen Panels teilen muss, beansprucht es die mittlere Seitenposition ganz für sich allein. Im Gegensatz zum Akira-Panel sieht hier alles etwas konfus aus: Die monochrome Darstellung vermischt die speedlines mit den Figuren zu einem Amalgam aus Linien.
Spannender hingegen ist auch hier wieder die Leserichtung, die die Bewegungen, die Action, unterstreichen soll. Wie in seinem Vorgänger wird auch hier im Moment des Aufpralls gestoppt. Doch hier fliegt die Faust des Protagonisten von rechts nach links. Die Reaktion des Getroffenen, einer überdimensionalen Katze, ein verbales "Maunz" findet sich links unten.
Auch hier ist die Hinführung zum Moment der Action interessant. Während Otomo das Auge seiner Leser in Akira wie mit der Stopptaste am Videorekorder von einer Einstellung zu nächsten führt, trifft Oda seine Leser mit der vollen Wucht einer Gummifaust. Obwohl der Gegner bereits im ersten Panel eingeführt wurde und sich der Protagonist im zweiten Panel darauf vorbereitet, so sind die gutter in One Piece doch wesentlich größer. Diese Analyse betrifft nicht nur den wirklichen Raum, den die Freiräume zwischen den Panels einnehmen, sondern auch den Überraschungsmoment beim Leser.
Die genaue Analyse zeigt zwei Manga, die beim ersten Hinschauen wie zwei typische, japanische Comics aussehen: Eine Abfolge von Panels suggeriert durch viele soundwords und viele speedlines eine schnell ablaufende Handlung. Doch zeigt erst der vergleichende Blick, dass diese Ausgabe von Akira den westlichen Leser an den Manga heranführen soll: eine Leserichtung von rechts nach links, eine genaue farbliche Abgrenzung von Objekten und speedlines und gutter, die den Leser nur zu wenig Mitarbeit auffordern.
Bei One Piece sehen wir eine andere Seite des japanischen Comic. Die irrwitzige Konfrontation zwischen überdimensionaler Katze und Gummimann eröffnet die Welt des grotesken Humors, die grafisch verstärkt wird: Die Leserichtung verwirrt, das Schwarz-weiß vermengt Action und Figuren zu einer undifferenzierbaren Masse und die zu überbrückende Distanz des gutter und die abrupten Wechsel in der Handlung fordern viel mehr aktive Mitarbeit vom Leser.
Ich hoffe mit der Gegenüberstellung von zwei Comics nicht zu sehr verwirrt zu haben. In diesem Blogeintrag geht es natürlich nicht um einen Wettkampf. Beide Comics stehen für unglaublichen Lesespaß. Vielmehr wollte ich eine Einladung aussprechen, in die Welt der Manga, die für jeden Geschmack etwas bietet. Bei genauem Hinschauen wird deutlich, dass sich der Manga, ebensowenig wie der Comic selbst, nicht in eine bestimmte Form pressen lässt.
Abbildung: © Carlsen Comics/Katsuhiro Otomo; Carlsen Comics/Eiichiro Oda
vor 2 Tagen
2 Kommentare:
So lobenswert ich es auch finde, daß du dich mal mit Manga auseinandersetzt, kann ich dein Fazit zu Akira nicht ganz nachvollziehen: Wo siehst du denn in dem Panel, oder auch auf der übrigen Seite, "viele speedlines"? Ich sehe nur einige wenige Parallelschraffuren, Rauchfahnen und ein paar dezente Linien, die vielleicht ein wenig die Wucht des Aufpralls, aber eben keine Bewegung anzeigen.
Außerdem glaube ich, daß die größere Klarheit, die Akira vermittelt, nicht nur an der hinzugefügten Farbe und der geänderten Leserichtung liegt, sondern auch einfach daran, daß Katsuhiro (übrigens nicht Katushiro) Otomos Stil nicht so "verwirrend" ist wie der Eiichiro Odas. Wobei Otomo natürlich wohl kaum etwaige westliche Leser im Blick hatte, als er sich für diese leichter lesbare Gestaltung entschied.
Lieber Martin,
Danke für dein ausgiebiges Feedback. Ich habe den Namensfehler ausgebessert.
Jetzt bin ich doch glatt in meine eigene Falle getappt: Während ich bei meiner genauere Anaylse des Akira-Panels nichts von speedlines geschrieben habe, verallgemeinere ich unten viel zu stark. Danke für den Hinweis.
Damit mein Blogeintrag runder wird, hat es noch deiner Ergänzung gefehlt, denn genau den Punkt wollte ich machen. Nicht alle Manga sind gleich. In Akira herrscht eine viel größere Klarheit, wohingegen sich Oda das allgemeine Durcheinander zu nutze macht.
Ich werde mich bemühe in Zukunft noch genauer hinzuschauen und sorgfältiger zu arbeiten.
Grüße,
Daniel
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