Donnerstag, 15. Juli 2010

Hingeschaut (5): Alles im Kasten

Spricht man über Panels, dann meint man meist einzelne Bilder in einem Comic, die erst in einem gesamten Seitenlayout ihr volles Potential entfalten. Aus diesem Grund fällt der Fokus von Hingeschaut auch auf die Details in einem einzelnen Bild. Was aber, wenn ein Künstler den Begriff des Mikrokosmos so ernst nimmt wie Richard McGuire und auf kleinstem Raum die Tore zu einem ganzen Universum aufstösst?

In RAW Vol 2 #1 (1989), der avantgardistischen Comicanthologie von Art Spiegelman, die neue Maßstäbe setzte, veröffentlichte Richard McGuire einen sechsseitigen Comic, unter dem Titel Here, der die Konstruktion von Zeit in jedem einzelnen Panel neu hinterfragt.

Das sechste Panel der ersten Seite von Here ist unser Panel dieser Woche. Die vierte Wand wurde entfernt, und wir schauen in ein Wohnzimmer, dessen klare schwarze-weiße Linien nur wenige Details aufweisen. Auffällig dagegen sind anderen Aspekte.

Obwohl das Panel von Figuren, Mobiliar, Sprechblasen und captions bevölkert ist, wirkt das Bild unruhig. Um die angebotene Fülle an Informationen in einem Panel zu verarbeiten, fällt der erste Blick meist auf die caption, die in solchen Situationen hilfreich zur Seite steht. In unserem Fall zeigt sie in der oberen linken Ecke eine Jahreszahl: 1971.

Abgestimmt zu dieser Angabe sind Frisur und Kleidung der Figur am rechten Rand des Panels und auch das dekorative Duo aus Flokati und Glastisch. Auch die Sprechblasen "Is there any ice?" und "I'm way ahead of you" sind kongruent zu dem Lebensgefühl der Siebziger.

Im Zentrum des Panels grenzt sich ein kleines Quadrat, ein Panel im Panel (mise en abyme), vom Rest der Handlung scheinbar ab. Dort sitzt eine Frau mit ihrem Baby und bedankt sich für das Fläschchen Milch, dass ihr von einer Hand, die von außerhalb des Bildrahmens kommt, gereicht wird. Die Verlängerung des Arms geht nicht über den Panelrahmen hinaus. Die caption in diesem gesonderten Panel führt den Leser in eine andere Zeit, das Jahr 1957 wird datiert.

Ein weiteres Panel, das sich am rechten unteren Rand befindet, schleicht sich in die Handlung des Jahres 1971 ein: Ein schwarzes Kätzchen bäumt sich darin auf. Ob ihre Vorderpfoten gegen die Beine der jungen Dame aus dem Jahr 1971 oder gegen den Panelrand gedrückt sind, kann nicht geklärt werden. Doch eben dieser Zusammenhang weist auf die inhärente Spannung in McGuires Comics hin.

Im Gegensatz zu allen anderen Hingeschaut-Folgen erbringt die Analyse der angrenzenden Panels in diesem Fall nicht sonderlich viel Neues. Jedes neue Panel spielt in einer andere Zeitebene (von dem Jahr 500,957,406,073 vor Christus bis ins Jahr 2033). Die Zwischenräume zwischen den Panels, gutter, werden eben nicht so einfach durch den Leser mit Information angefüllt, da die Abstände der Jahreszahlen ganze Biografien zulassen. Des Weiteren finden diese Brüche, wie oben gezeigt, auch innerhalb der Panels statt und doch gibt es in der Differenz der Zusammenhänge Gemeinsamkeiten.

So finden in späteren Panels Wiederholungen statt, die trotz dem Zeitsprung eine Verbindung erzeugen: Während ein Mann aus dem Jahr 1989 seine Frau fragt, "Where did you put today's paper?" und als Antwort "I put it in the living room" bekommt, sehen wir im nächsten Panel einen Mann im Jahr 1901, der seinem Zuhörer zu verstehen gibt: "this is where i put the living room". Es sind die diese Sinnzusammenhänge, die das Konzept von McGuire verbinden und zu einem fragmentieren Ganzen machen.

McGuire schafft es mit Here in simplen schwarz-weißen die Basisbegriffe des Comics nicht nur zu erläutern, sondern auch ihre Verwendung zu hinterfragen. Gleichzeitig werden die amerikanische Geschichte aufgerollt: Der Lebensraum des Indianers, der friedlich im Gras liegt/lag, wird hundert Jahre später von Glastischen und Flokatis eingenommen.

Als kleine Hommage auf Here hat The Emphemerist nun ein Video auf seine Seit gestellt, in der die Handlung des Comic als Film dargestellt wird und so explizit auf die Differenz der beiden Medien hinweist.

Wer gefallen an McGuires Werk gefunden haben sollte, darf auf keinen Fall den Film Peru(s) du noir verpassen für den der Künstler eine Episode angefertigt hat.

Abbildung: © Richard McGuire

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